Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie Menschen ohne Uhrzeit leben würden? Anastasija Röhrig machte den Versuch! Alle Uhren wurden verstellt oder abmontiert, so lebte sie auf kurze Dauer, um danach ihr Feedback mit der Welt zu teilen. Die Fragen, die dir grade im Kopf herumschwirren, wie das den alles funktionieren soll, wie sie das mit der Arbeit macht. All das klärt sich im nachfolgenden Interview mit Anastasija Röhrig.
Bild Design von Viona Watson
Wie bist du auf die Idee gekommen mal ohne Uhr zu leben?
Ich habe Anfang des Jahres meinen Job als Erzieherin gekündigt und wie wahrscheinlich bekannt ist, ist gerade dieser Beruf sehr stark von Zeitmangel, Struktur und Stress geprägt. Als ich dann angefangen hab mich wieder mehr auf mich selbst zu besinnen und auf meinen Körper und meine Gesundheit zu achten, kam ich auf die Idee, dass es eigentlich auch mal ganz cool wäre auf Uhrzeiten zu verzichten.
Ich bin dann auf Reisen gegangen, wo natürlich eine zeitliche Struktur auch sehr wichtig ist. Und jetzt wo ich im Januar wieder anfange zu arbeiten wollte ich unbedingt das Experiment, ohne Uhr zu leben, noch durchziehen und somit hab ich das jetzt gemacht und kann es jedem empfehlen es auch mal auszuprobieren!
Hattest du angst im vorab irgendwelche Termine zu verpassen oder Total verloren zu sein?
Ich habe mir natürlich gezielt eine Woche ausgesucht, wo ich nicht besonders viel vorhabe, um nicht auf eine Uhr angewiesen zu sein. Ich hatte dann doch ein paar Termine und spontan auch ein Radio-Interview bezüglich des Experimentes (Webradio: DasDing), da muss ich natürlich Uhrzeiten einhalten. Hierbei habe ich mir dann meine Schwester zu Hilfe genommen. Ich habe ihr die Uhrzeit gesagt und sie hat mir eine halbe Stunde vorher einfach Bescheid gegeben, damit ich mich fertig machen konnte.
Einmal, während des Experimentes, musste ich tatsächlich auf eine Uhr schauen. Da ich einen Ausflug in einen Tierpark gemacht habe, der ziemlich weitläufig war und ich nicht wusste, ob ich noch genug Zeit habe wieder zum Ausgang zu kommen, bevor der Tierpark schließt. Hier habe ich dann kurz meine Handy-Uhr zurückgeschaltet, um zu sehen, wie viel Zeit ich noch habe den Tierpark zu verlassen. Ansonsten hab ich mich eigentlich nur drauf gefreut mal komplett abzuschalten und auf mich selbst zu hören anstatt auf eine Uhr.
Welche Vorkehrungen hast du getroffen um die Uhrzeit nicht zu sehen?
Als allererstes habe ich natürlich alle Uhren in meinem Haushalt aus gestöpselt oder abgeschaltet beziehungsweise umgedreht und auch die Uhr am Handy habe ich verstellt. Hier habe ich einfach eine andere Zeitzone ausgewählt, die viele Stunden Verschiebung hat. (Nowosibirsk) Da ich gar nicht weiß, wie viele Stunden Verschiebung existieren und ich diese auch nicht so schnell im Kopf ausrechnen kann, war dies für mich eine gute Methode, um mein Handy weiter benutzen zu können ohne zu wissen wie viel Uhr es ist.
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Wie war der Alltag für dich? Hattest du eine gewisse innere Uhr die dich geleitet hat?
Ich habe ja mit einer Freundin eine zeitliche Auswertung gemacht. D.h. ich habe ihr über WhatsApp immer geschrieben, wann ich schlafe gegangen bin, aufgestanden bin und gegessen habe und somit wusste sie ja immer die tatsächliche Uhrzeit. Im Nachhinein habe ich mir das angeschaut und musste feststellen, dass ich schon einen gewissen innerlichen Rhythmus hatte. Dieser war nur nach hinten verschoben, also ich bin später schlafen gegangen, später aufgestanden und habe auch später gegessen, aber dies jeden Tag ungefähr zur selben Uhrzeit. Ansonsten hatte ich aber gar kein Gefühl dafür, wie viel Uhr es sein könnte. Abends beziehungsweise in der Nacht habe ich nur irgendwann gemerkt, dass ich Kopfschmerzen bekomme, weil es eben schon zu spät ist und ich unbedingt mal schlafen gehen sollte. Das war dann so gegen 1:00 Uhr nachts!
Hattest du das Gefühl, dass du so weniger gestresst warst bzw. hat es sich gesünder angefühlt als mit Uhr?
Am Anfang hat es mich sogar etwas gestresst nicht zu wissen wie viel Uhr es ist, weil ich ein Mensch bin, der sehr gerne gut in der Zeit liegt. Nur diese Zeit konnte ich nicht kontrollieren und das hat mich schon ein bisschen unruhig gemacht. Aber ab dem 3. Tag hat sich dies auch wieder gelegt und ich fand es entspannend schlafen zu können, wie ich es will und nicht wie die Uhr es mir vorgibt.
Hatte es Auswirkungen auf deinen Schlaf?
Ich habe im Schnitt neuneinhalb Stunden geschlafen, was mir auch vorher schon bewusst war, dass ich ungefähr 9 Stunden brauche, um mich ausgeschlafen zu fühlen. Was ja wissenschaftlich auch belegt ist, dass ein Mensch je nach Anstrengung 6–9 Stunden braucht, um sich wirklich regenerieren zu können. Dass ich im Schnitt neuneinhalb Stunden brauche, finde ich vollkommen in Ordnung, da ich weiß, dass ich eine Immunschwäche habe, die sowieso mehr Regenerationszeit beansprucht. Somit hat mich das Experiment darin bestätigt, dass diese neuneinhalb Stunden Schlaf wirklich derzeit entspricht, die mein Körper wirklich braucht.
Ich werde in Zukunft versuchen natürlich so schlafen zu gehen, dass ich auch auf diese 9 Stunden Schlaf – ob, dies dann mit meinen zukünftigen Arbeitszeiten harmoniert, muss ich sehen – bekomme. Ansonsten ist es für meine langfristige Gesundheit sicher sinnvoll, den Job an meine körperlichen Bedürfnisse anzupassen und nicht mein Körper an die berufliche Zeitstruktur.
Würdest du dieses Experiment auch in einem Schul/Arbeitstag empfehlen?
Da ich aktuell nicht arbeite, war es natürlich einfacher für mich das Experiment möglich zu machen, ansonsten wäre es natürlich sehr spannend, wenn man einen Arbeitgeber hätte, der dieses Experiment mitmacht. Indem er/sie einem gestattet zur Arbeit zu kommen und zu gehen, so wie man es im Gefühl hat. Was natürlich meistens nicht möglich wäre. Aber ich kann jedem trotz Schule oder Berufstätigkeit empfehlen vielleicht einfach mal nur am Wochenende oder wenn man Urlaub hat und nichts Besonderes vorhat einfach mal die Uhr wegzulassen.
Wie hast du dich im Alltag orientiert?
Im Alltag habe ich einfach auf mein Körper gehört. Ich bin aufgestanden, wenn ich mich erholt gefühlt habe, ich habe gegessen, wenn ich Hunger hatte und ich bin schlafen gegangen, wenn ich müde geworden bin. Zwischendurch hab ich halt einfach meine Tätigkeiten gemacht, die ich machen wollte und habe aufgehört, wenn ich damit fertig war oder keine Lust mehr hatte.
Gab es Momente in denen du abbrechen wolltest?
Da ich das Experiment nur eine Woche gemacht habe, hatte ich auch nicht das Bedürfnis abzubrechen. Im Gegenteil, ich hab sogar darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn man das Experiment länger machen würde. Zum Beispiel, wenn man einer selbstständigen Tätigkeit nachgeht, kann ich mir richtig gut vorstellen auf die Uhr zu verzichten und einfach einen komplett entspannten Alltag zu haben. Da ich ab Januar auch wieder einem normalen Job nachgehe, kann ich mir nicht vorstellen auf eine Uhr zu verzichten. Allerdings, habe ich mich schon gefreut wieder eine Uhr benutzen zu können, als das Experiment fertig war, denn, eine gewisse Tagesstruktur fühlt sich für mich auch einfach gut an. Aber vielleicht liegt es auch nur daran, dass man das einfach von klein auf gewohnt ist.
Würdest du es wieder tun? Würdest du es anderen Empfehlen? Dein Fazit über die ganze Zeit .
Mein Fazit ist, dass es mir sehr gutgetan hat, mich auf die Bedürfnisse meines Körpers zu besinnen und zu schauen, was ich wirklich brauche. Ich weiß jetzt, welche Angewohnheiten zu mehr Wohlbefinden führen und was falsche Angewohnheiten sind, die ich nur anhand einer Zeit Struktur erstellt habe, um in die Gesellschaft zu passen.
Somit kann ich, dass jedem empfehlen, das wenigstens mal für ein, zwei Tage auszuprobieren und sich auf sich selbst zu besinnen. Und ja, ich kann mir durchaus vorstellen, das noch mal zu machen. Gerade wenn man seinen Urlaub vielleicht zu Hause verbringt, mit Gartenarbeit etc. kann man ja vielleicht ganz gut mal die Zeit weglassen und sich nur auf sich selbst konzentrieren.
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Ich könnte es mir nicht vorstellen. Ich meine mit meiner Arbeit würde es nicht gehen und ich würde mich auch nicht wohl fühlen..